Interview mit Hans Hillmann

AutorIn
Jens Müller
Erscheinungsjahr
2009
Quelle
Müller, Jens: »A5/01: Hans Hillmann - Das visuelle Werk«, Lars Müller Publishers, Baden

Wie sind Sie zum Beruf des Grafikers gekommen?

Als Kind habe ich mal einen Karl May-Band illustriert, das war der Anfang. Eigentlich sollte ich den Hof meines Vaters übernehmen, aber nach dem Krieg war der nicht mehr da. Ich wollte sowieso immer Grafiker oder Zeichner werden und in der Kriegsgefangenschaft als Dolmetscher bei der britischen Armee in Kärnten habe ich angefangen Landschaften zu zeichnen. Damals wussten die Fleischereien nicht, was sie in ihre Schaufenster stellen sollten und dann haben sie Kunst ausgestellt und verkauft. Das war 1947, da bin ich nach Kassel gekommen und habe mir über den Verkauf der Aquarelle und mit anderen Gelegenheitsarbeiten mein Studium und den Lebensunterhalt finanziert.

Dann ging es mit dem Studium los…

Ich begann im Januar 1947 an der „Schule für Handwerk und Kunst“ in Kassel mein Studium. Es war schwierig einen Studienplatz zu kriegen, da es eine sehr kleine Schule war und man sich schon damals mit einer Mappe und Arbeitsproben bewerben musste. Ich war etwa ein Jahr dort und irgendwann gab es eine Ausstellung von Hans Leistikow, der Professor an der „Staatlichen Werkakademie“ (später zur „Hochschule für Bildende Künste“) in Kassel war. Da war ich sofort überzeugt und wechselte. Dort ging es los mit den Plakaten. Durch Leistikow, der hauptsächlich Plakatgestaltung lehrte, bin ich dazu gekommen. Eine der ersten Aufgaben, an die ich mich erinnere war es, irgendein Plakat zum Thema „Der Wald“ zu gestalten. Ich hatte von Plakat noch keine Ahnung und habe gedacht man kann eigentlich nur einen dicken Baum, viel Laub und dahinter den Wald malen. Die anderen Studenten aber hatten so viele unterschiedliche Ideen, das ich mir vornahm, beim nächsten Mal zwanzig Entwürfe zu machen um hier existieren zu können. Neben den Plakataufgaben hat Leistikow den Studenten immer Aufträge vermittelt, zum Beispiel das Gestalten von Ausstellungstafeln, die über die Projekte des Wiederaufbaus nach dem Krieg informierten. Das war ganz wichtig, denn damit konnten wir dann unsere Semester finanzieren.

Über ihren Professor Hans Leistikow kam auch ein wichtiger Auftrag, der Sie dann die nächsten zwanzig Jahre beschäftigt. Können Sie erzählen wie es zur Zusammenarbeit mit dem Filmverleih „Neue Filmkunst“ kam?

Während meines Studiums kamen eines Tages Walter Kirchner, Werner Schwier und Ernst Liessenhoff vom Göttinger Filmverleih „Neue Filmkunst“ nach Kassel. Sie wollten von unserem Professor Plakate gestaltet haben. Leistikow hat aber ein Klassenprojekt daraus gemacht und Wettbewerbe veranstaltet. Da habe ich eine ganze Anzahl von Wettbewerben gewonnen. Es war damals so: Wer den ersten Preis hatte von der Klasse mit etwa 25 Leuten, machte das Plakat; wer den Zweiten hatte, machte das Programmheft, der Dritte machte Dias für die Filmwerbung. Ich habe dann nach dem Studium eine Zeit lang in Köln gearbeitet. Leistikow war krank geworden, und dann funktionierte die Zusammenarbeit nicht mehr. Von der „Neuen Filmkunst“ hatte ich noch Geld zu kriegen, und sie haben mich dann gefragt, ob ich nicht weiter machen wollte. Ich habe in Konkurrenz mit einem anderen jungen Kollegen aus Göttingen drei Filmplakate gemacht. Diesen Wettbewerb habe ich auch gewonnen und dann den Auftrag erhalten.

„Neue Filmkunst Walter Kirchner“ war die erste Firma, die in Deutschland Filmkunst in die Kinos gebracht hat. Wie sah die Situation damals aus?

Deutschland war eine Kinowüste. Das heißt, es gab keine Filmkunstkinos, das nächste Filmmuseum war in Paris. Es war ein paar Jahre nach dem Krieg. Früher ist Film immer eine Jahrmarktattraktion gewesen, und daran hatte sich nicht viel geändert. Als sich die Bundesrepublik in der Nachkriegszeit auch kulturell entwickelte, fing das Interesse an Film an. Und es gab die entsprechenden Einrichtungen. Kirchner und Schwier hatten einen Filmclub und kamen auf die Idee, einen Verleih zu gründen. Die Aufgabe ergab sich dann aus der Zielsetzung des Verleihs: die notwendigerweise schmale Schicht von Filmkunst-Interessierten zu erreichen. Das konnte nicht mit den üblichen Werbemethoden der Filmindustrie geschehen. Anstelle der immer gleichen Werbeslogans von atemberaubender Spannung und heiterer Entspannung, gleichgültig um welche Art Film es sich handelte, sollten präzise Angaben und Daten über Genre, Regisseur usw. stehen. Die Auswahl für das endgültige Plakat trafen der künstlerische Leiter Werner Schwier und ich gemeinsam.

Wo lagen denn in Bezug auf die Plakate die Unterschiede zu kommerziellen Filmverleihern?

Bei den Motiven gab es keine Vorgaben, wie bei den herkömmlichen Filmplakaten, wo der Verleihchef gesagt hat, das hätte ich aber lieber rot oder so. Es war nur immer die Frage, was es kosten durfte. Und das erklärt zum Beispiel vor allem für den Anfang der Tätigkeit, weshalb so viele Motive in schwarz-weiß waren. Außerdem war es immer eine Selbstverständlichkeit den Film vorher zu sehen. Die Plakatentwürfe habe ich in der Regel in Postkartengröße gemacht. Man kann das heute noch bei einigen der Plakate sehen. Zum Beispiel bei „Sturm über Asien“ oder „Panzerkreuzer Potemkin“. Die sahen natürlich aus, wenn man sie vergrößerte, so ein bisschen grob an den Rändern und Konturen. Das habe ich bewusst übernommen. Das kann man nicht künstlich machen, weil es dann künstlich aussieht. Den Entwurf steckte ich in die Tasche und fuhr nach Göttigen. Da wurde besprochen und entschieden, welcher Entwurf genommen wird. Ich habe mich bemüht, es zum Arbeitsprinzip zu machen, dass man immer mehrere Ideen hat, an denen man arbeiten kann. So, dass man sich selbst Konkurrenz machen kann. Das ist ziemlich wichtig, weil man sich sonst oft hineinsieht in eine Idee, die man so mag und erst später merkt, wenn Kritik geübt wird oder wenn man länger oder häufiger hinsieht, dass es so gut gar nicht war. Das war immer eine gute Hilfe.

Schon kurz nach ihrem Studium begannen Sie selber zu Unterrichten. Wie kam es dazu?

Nach dem Ende meines Studiums arbeitete ich etwa ein Jahr in Köln. Dort habe ich auch vor allem Tafeln für Ausstellungen gestaltet. Inzwischen war Hans Leistikow krank geworden und hatte mich als Ersatz vorgeschlagen. Mehrere Semester war ich als Lehrbeauftragter an die Hochschule in Kassel tätig. 1961 wurde ich auf eine Professur berufen. Hier hatte ich dann die Möglichkeit, das zu wiederholen, was ich damals bei Leistikow gemacht habe, nämlich Klassenwettbewerbe für Filmplakate zu veranstalten. Eine der ersten Anschaffungen, die ich nach meiner Berufung getätigt habe, war der Kauf einer Rollei-Kamera und eines Vergrößerungsgerätes. So hielt die Fotografie Einzug in meine Arbeiten und in das Studium in Kassel. Aber das Plakat blieb der Schwerpunkt des Studiums in Kassel. Gunter Rambow oder Frider Grindler waren damals Studenten und die sind alle auf das Medium Plakat angesprungen.

Parallel entstand Ende der 50er Jahre die Gruppe „novum“, deren Mitglied Sie waren…

Das war 1958. Ich wurde von Dorothea Fischer-Nosbisch und Fritz Fischer angesprochen, dass es die Idee gäbe eine Gruppe zu gründen. Günther Kieser, Hans Michel, Karl Oskar Blase, Wolfgang Schmidt und andere waren ebenfalls dabei. Damals kamen die Agenturen nach amerikanischem Vorbild nach Deutschland und mit der Gruppe wollte man sich um diese Aufträge aus der Wirtschaft bemühen. Es war primär ein freundschaftlicher Zusammenschluss, jeder arbeitete für sich allein, es gab aber regelmäßige Treffen. Letztendlich kam aber nur ein großer Auftrag dabei heraus: eine Ausstellung in Turin über den Wiederaufbau der Bundesrepublik. Daran arbeiteten wir ein ganzes Jahr und jedes „novum“-Mitglied bearbeitete ein Thema. Ich war nicht böse darum, das aus „novum“ nichts längerfristiges wurde, denn ich habe diese Kulturgrafik, die wir damals machten sowieso lieber gemacht und den Kollegen ging es ähnlich.

Wie gingen Sie denn in der Lehre mit der veränderten Situation und dem Aufkommen der Werbeagenturen um?

Es war damals so, dass Werbung nicht sehr beliebt war — auch bei den kunstwissenschaftlichen Kollegen an der Hochschule. In den 1968er Jahren hat sich das noch konträrer entwickelt. Die Theoretisierung von Grafikdesign fing schon vorher an, als es Anfang der 1960er Jahre erstmals Zeitschriften zu diesem Thema gab. Es wurde dann immer politischer und der Begriff „Berufsbild“ tauchte zum ersten Mal auf. Ich führte damals Berufsbild-Exkursionen ein und das war sehr erfolgreich. Wir gingen dann zum Beispiel in Agenturen nach Frankfurt und hörten und etwas von Art Directoren an. Manchmal war es aber schwierig Studenten, die besonders links waren, in so eine Agentur reinzukriegen, denn das war ja das Feinbild. Aber das vermittelnde war, das einige der ehemaligen Studenten in Agenturen tätig waren und darüber gab es dann eine persönliche Verbindung.

Neben den Filmplakaten haben Sie in den 1960er Jahren außerdem viel für die Kultzeitschrift „twen“ gearbeitet…

Das war in der Zeit als die Plakate entstanden sind. Es war sehr gut für mich, weil ich hier ganz anders illustriert habe, als vorher. Ich hatte jetzt zusätzliche Mittel wie Fotografie und Montage zur Verfügung, die ich einsetzen konnte. Und ich konnte Dinge umsetzen, die ganz linear waren, die man beim Plakat nicht verwenden konnte. Willy Fleckhaus hat die Illustrationen dann sehr gut ins Layout gesetzt, er hat die Seiten sehr plakatig gestaltet. Häufig war seine Typografie so integriert, dass sie wie ein Teil der gezeichneten Form wirkte, diese ergänzte oder fortsetzte. Heute ist kaum vorstellbar, wie neu diese Zeitschrift auf uns wirkte, in welchem Ausmaß sie sich von anderen Publikationen unterschied.

Machen wir einen Sprung in die 1970er. Auf einmal hörte diese Ära der deutschen Filmkunstplakate auf. Wie kam es dazu?

Die Konkurrenzfirma „Atlas Film“, für die ich nur einige Plakate machte, ging schon etwas früher pleite, aber Kirchner hörte 1975 auf – auch Plakate zu machen. Die Firma hat zwar weiter existiert, sie gehörte ihm eben nur nicht mehr. Gunter Rambow hat geschrieben, es wäre für mich sehr viel weggebrochen, als das mit den Filmplakaten aufhörte. Das war aber nicht der Fall. Ich wollte immer schon ein Projekt machen, das eine Ähnlichkeit zu Film hat. Es gab vorher schon ein paar Bücher mit kurzen Bildergeschichten, die linear gezeichnet waren. Dann habe ich das Buch „Fliegenpapier“ gemacht, aquarelliert, in etwa in der Methode in der ich in den letzten Jahren die Filmplakate aquarelliert hatte.

Können Sie uns etwas mehr über das Projekt „Fliegenpapier“ erzählen?

Es interessierte mich herauszufinden, ob es gelingen wuerde, auf etwa 60 bis 90 Seiten mit je einem ganzseitigen oder einem unterteilten doppelseitigen Bild die Geschichte zu erzählen und dabei mit ganz wenig Text unter den Bildern auszukommen. Während ich für die anderen Bildergeschichten zumeist lineare Zeichnungen gemacht hatte, wollte ich diesmal mit Aquarellen arbeiten. Ich begann mit Skizzen für das zweite Kapitel, die wegen der längeren Dialoge an dieser Stelle zu den schwierigsten Aufgaben gehörten. Überhaupt entstanden die Bilder nicht in konsequenter Reihenfolge, ich begann irgend wo und entwickelte Sequenzen und Einzelbilder. Während ich an dem Buch arbeitete, habe ich mir sehr viel Fotografie angeschaut, vor allem aus den USA. Allerdings habe ich nie Kompositionen oder Situationen direkt übernommen. Es hätte mich gelangweilt, nach einem schon vorliegenden Endresultat zu arbeiten ohne die Möglichkeit, mich selbst zu überraschen. Die Schauplätze der Handlung gehörten zu den wichtigsten Themen, weil sie für die Atmosphäre, die ich vermitteln wollte, ausschlaggebend waren. Den Gedanken an eine fiktive Großstadt, zusammengesetzt aus Elementen von Catania, Frankfurt und London verwarf ich zugunsten von San Francisco, wo der größte Teil der Handlung spielt. Skizzen und Aufnahmen, die ich während ausgedehnten Fußwanderungen durch diese Stadt machte, dienten mir als Grundlage für die Darstellung von typisch amerikanischen Strassen, Plätzen, Stadtansichten, Läden und Bars. Von der ursprünglichen Idee blieben einzelne europäische Elemente und einige von Frankfurt inspirierte Bilder. Nach fast sieben Jahren war es dann soweit, aus den ursprünglich geplanten 60 bis 90 Seiten ist ein Buch mit 149 Seiten geworden.

Die Illustration wurde dann Ihr Schwerpunktpunkt und das Medium Plakat trat in den Hintergrund…

Inzwischen hatten wir auch an der Hochschule in Kassel etliche Kollegen, wie Gunter Rambow oder Jan Lenica, so dass ich mich auch dort mehr auf Illustration beschränkt habe. Es ging sehr gut, wir haben uns ergänzt. Rambow hatte zum Beispiel ein Fotostudio eingerichtet, das nutzte ich dann auch mit Studenten für Naturstudien, da mich Licht und Schatten schon immer sehr interessiert haben. In den 1980er Jahren bekam ich dann regelmäßig Aufträge für das „Frankfurter Allgemeine Magazin“ zu arbeiten. Es waren meist Doppelseiten mit Artikeln oder Serien von Journalisten, die zu illustrieren waren. Eine der Serien hieß „Berühmte Liebespaare“. Hier wurden Artikel über prominente Liebespaare, die in der Kunst- oder Musikgeschichte bekannt und wichtig waren, geschrieben. Das war eine interessante, wenn auch schwierige Arbeit. Parallel kamen auch zahlreiche Aufträge vom Rowohlt Verlag, zum Beispiel für Buchumschläge von John Updike oder für die Programmvorschauen.

Zeichnen Sie auch heute noch regelmäßig?

Ja, fast jeden Tag. Zur Zeit entstehen Arbeiten für eine Ausstellung meiner Zeichnungen, die im kommenden Jahr gezeigt werden soll.