Hans Hillmann spricht mit der Redaktion

AutorIn
Zdzisław Schubert
Erscheinungsjahr
1975
Quelle
Projekt (Polen), #104 (01/1975)

Hans Hillmann wurde im Jahre 1925 in Nieder-Mois geboren; er besuchte die Staatliche Schule für Handwerk und Kunst in Kassel und nachher studierte er in den Jahren 1949-53 Graphik in der Werkstatt von Prof. Hans Leistikow an der dortigen Staatlichen Werkakademie. Er arbeitete als Graphiker anfänglich in Kassel und nachher in Frankfurt am Main, wo er bis heute lebt. Er ist Mitbegründer der im Jahre 1959 entstandenen Gruppe »Novum-Gesellschaft für Neue Graphik«; im Jahre 1961 wurde er Professor der Graphik an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Kassel. Er befaßt sich mit der Filmreklame, Ausstellungs- und Reklamegraphik, mit der graphischen Bearbeitung der Zeitschrift »Der Film«, führt Illustrationen für Zeitschriften (»Twen«) sowie Bucheinbände und Schutzumschläge aus. Er gewann zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. im Wettbewerb »Das beste Plakat des Jahres«, den 2. Preis und die silberne Medaille für ein Plakat mit kultureller Thematik auf der 1. Internationalen Biennale des Plakats in Warszawa im Jahre 1966, den 1. Preis für Filmplakate im Wettbewerb »Cinema 16 Society«, in Colombo.

REDAKTION: Wie entstand Ihre Konzeption des Filmplakats von den ersten Kontakten mit der Distributionsfirma »Neue Filmkunst« an, mit welcher Sie eine bereits zwanzigjährige Zusammenarbeit verbindet?

HANS HILLMANN: Die Konzeption gründet sich auf Einstellungen, die dem Verleih und mir gemeinsam waren. Werner Schwier, der damals künstlerischer Leiter war, hat besonders dazu beigetragen. Wir lehnten die irreführenden Übertreibungen ab, die in der Filmbranche besonders kraß sind, und wollten an ihre Stelle präzisere und nüchternere Informationen setzen, z.B. statt der vorrangigen Nennung von Stars die Regisseure als Autoren der Filme vorstellen. Da es um Filmkunst ging, schien es uns naheliegend, auch in der Graphik, beim Plakat, entsprechende, nicht banale Mittel einzusetzen. Aus der Gründer-Situation ergab sich, daß die Plakate billig produziert werden mußten. Ich habe in den ersten Jahren mehr als ein Dutzend Plakate in Linol geschnitten. Ich ging damals vorwiegend von der Illustration aus und suchte nach Szenen bzw. Bildern des Films, die typisch waren, das heißt als Teil für das Ganze stehen konnten, und behandelte sie dann so, daß sie den „plakativen“ Anforderungen genügen konnten. Allerdings stieß ich mit diesem Verfahren bald an eine Grenze, es traten Filme auf, die damit nicht darstellbar waren; so begannen die Versuche mit Montage und symbolhafter Darstellung.

RED.: Wie weit fühlten Sie sich mit der künstlerischen Tradition ihres Landes verbunden, als Sie am Anfang der fünfziger Jahre die Arbeit am Plakat aufnahmen?

H.H.: Der Zugang zu Büchern und Ausstellungen war, verglichen mit der heutigen Situation, zur Zeit meines Studiums und die erste Zeit danach eher gering und die Auswahl damit zufällig. Ich erinnere mich, daß ich jedenfalls die ganze frühe Plakatkunst — also auch den deutschen Beitrag — erst relativ spät zu Gesicht bekommen habe. Bestimmend war mehr die künstlerische Tradition anderer Länder. Gebrauchsgraphik kann man ja nur bis zu einem bestimmten Grad trennen von den Inhalten, die sie vermittelt; die der Zeit, die Sie in Ihrer Frage ansprechen, unmittelbar vorangehende Tradition von Propaganda war ja die des Nazi-Deutschland. Das hat uns nicht eben motiviert, einer natioinaten Überlieferung sich verbunden zu fühlen.

RED.: In Ihrer, im Katalog der Posener Ausstellung gedruckten Aussage nennen Sie Beispiele der schöpferischen Methode, die sich auf die präzise Analyse des Filmwerkes stützt, Ist es Ihnen vorgekommen, daß Sie intuitiv in das Wesen des jeweiligen Filmes trafen?

H.H.: Das ist eine Frage, die mir ebenso interessant ist, wie ihre Beantwortung problematisch: das erste, da ich von Intuition abhängig bin und sie bewußt herbeiführen möchte, das zweite, weil Eingebung aufgrund ihres emotionalen, spontanen Charakters sich einer Rationalisierung weitgehend entzieht, also der, der Intuition erlebt, weniger objektiv darüber aussagen kann. Analyse des Films, seiner darstellbaren Aspekte und Intuition sind ja keine Alternativen im Vorgang des Entwerfens, sondern verschiedene Phasen. Die erstere ergibt Material und Kritierien, die später der Bewertung und Auswahl eigener Entwürfe dienen. Mein Vorgehen ist so, daß ich nach der Analyse verschiedene Vorgehensweisen benutze, um Einfälle zum Thema zu provozieren. Zuerst habe ich nur das in meiner Antwort zu Ihrer ersten Frage genannte Verfahren angewandt, Später kamen Techniken aus der Creativitätsforschung dazu — das hängt mit meiner Arbeit an der Hochschule zusammen — die ich meinen Bedürfnissen angepaßt und angewandt habe. Diese Verfahren dienen dem Moment, in dem einem etwas einfällt und dieser Augenblick ist manchmal schon sehr früh da. Dann folgt die Analyse nach, denn ich muß mich vergewissern, ob der Einfall für den Film richtig ist.

RED.: Uns, den Betrachtern Ihres Schaffens in Polen, ist die große Ähnlichkeit zwischen Ihrer Suche auf dem Gebiet des Plakats und der Suche unserer Plakatkünstler aufgefallen. Ist dies ein Zufall oder auch eine tiefer begründete Übereinstimmung?

H.H.: Zu einer befriedigenden Antwort gehörte eine Übersicht der Hintergründe und Zusammenhänge, die ich nicht habe. An Zufall glaube ich nicht. Ich denke, daß ein uns gemeinsamer, übernationaler Hintergrund eine Rolle spielt, das heißt, wir haben vermutlich ähnliche Einflüsse verarbeitet. Unterschiede bestehen unter anderem darin, daß — nach meinem bisherigen Eindruck die Typographie des Dadaismus sich mehr bei Ihnen, die des Bauhauses mehr bei uns ausgewirkt hat.

RED.: Sie sind nicht nur der Autor von Plakaten, sondern auch von interessanten Prospekten, Filmprogrammen sowie auch von Illustrationen in Zeitschriften.

H.H.: Ich habe schon als Kind Bücher illustriert, die mir gefallen hatten. Nachdem das Medium Plakat mich dazu gebracht hat, Bild und Text als etwas sich wechselseitig Ergänzendes zu sehen, das Bild sehr stark »plakativ« zu konzentrieren, habe ich mich sehr gern daran gemacht, neue Zugänge zur Illustration zu finden. Das wichtigste konnte ich durch Willy Fleckhaus für »twen« realisieren. Mich interessiert dabei, wie beim Plakat, die enorme Vielfalt der Möglichkeiten, die die Frage nach der »Bebilderung« eröffnet, über ein Beispiel, welches in Ihrer Ausstellung vertreten war, die Illustration zur »Spezialität des Hauses«, möchte ich etwas zur Entstehung sagen: die Story ließ sich zur Leitidee »Gastronomie und Kannibalismus« verkürzen; diese provozierte fast von selbst bildhafte Vorstellungen. Dann fasziniert mich auch wie Bilder zum Text, auch zu Titeln, beitragen können, wie sie verändern, beeinflußen, ja ihm sogar widersprechen können. Daher ist auch die vielfach anzutreffende Ablehnung der Illustration literarischer Texte zu vertreten: in der üblichen Praxis wird dadurch einer in sich abgeschlossenen, fertigen Aussage nachträglich etwas hinzugefügt. Die Forderung, Schreiber und Zeichner sollten so etwas gemeinsam verfassen, erscheint mir vernünftig. RED.: Welchen Platz gehen Sie dem Plakat in der heutigen Welt?

H.H.: Um herauszufinden, wo neue Möglichkeiten des Plakats sich abzeichnen, würde ich vorschlagen, den Begriff möglichst weit zu fassen, was die Bezeichnung »öffentlicher Anschlag« schon eher erlaubt. (Im deutschen hat übrigens »Anschlag« als zweite Bedeutung die des Attentats: also Attentate auf das öffentliche Bewußtsein.) Der größere Rahmen würde dann benachbarte Bereiche miteinbeziehen, z.B. das mobile Plakat: Autoaufkleber, Straßenbahnplakate, der Sandwichmann, die Plakette, der Button, das bemalte Haus, die Tätowierung, das Transparent, dis Wandinschrift.

RED.: Die in Warszawa nacheinander stattfindenden Biennalen des Plakats lenkten die Aufmerksamkeit immer mehr auf das westdeutsche Plakat. Kann man Ihrer Meinung nach von einem »westdeutschen Plakatstil« sprechen?

H.H.: Ich glaube nicht. Es gibt einzelne Persönlichkeiten, die über einen längeren Zeitraum ziemlich bestimmend sind, als Beispiel könnte man Michael Engelmann (mit seiner Rothhändle-Konzeption) und Günther Kieser (mit den Konzertplakaten) nennen. Eine gemeinsame, nationale stilistische Ebene, etwa vergleichbar dem polnischen Plakat, sehe ich nicht. Vielleicht liegt es mit daran, daß das, was aus der Bundesrepublik zur Biennale in Warszawa gelangt, nur ein kleiner, nicht unbedingt typischer Ausschnitt ist.

RED.: Seit einer Reihe von Jahren stehen Sie in Verbindung mit Kassel und mit der dortigen Hochschule für Bildende Künste. Wie verhält sich dort das Problem der Bildung junger Graphiker, und in welchem Grad ist die Schule mit dem Künstlermilieu verbunden, das man vor altem aus den »Documenta« kennt?

H.H.: Es ist sehr schwierig, in diesem Rahmen über diese Themen auszusagen: sie sind sehr komplex und man gerät bei jeder, hier not-wendigen Verkürzung in Gefahr, ein einseitiges — und somit unzutreffendes — Bild zu zeichnen. Wir haben eine Menge Probleme, von denen ich nur einige herausgreife: solche, die man sich leicht vorstellen kann als Folgen des Zusammenschlusses zweier Kunstschulen und der Eingliederung in die Gesamthochschule. Probleme der Umstrukturierung, der Selbstverwaltung spielten und spielen eine große Rolle: die Selbstorganisation von Lernen, die Mitbestimmung der Gruppen, die Diskussion um anstehende neue Hochschulgesetze und andere Fragen allgemeiner Natur. Fachlich, betreffend die Ausbildung von Graphikern, wird die Situation stark bestimmt durch eine allgemeine Unsicherheit über die Berufssituation, die von Ablehnung verschiedener Formen, und Ziele von Werbung bis zur Sorge um heute knapp werdende Arbeitsplätze reicht. Die Graphiker, die heute die Hochschule verlassen, sind in der Regel theoretisch besser informiert als die früheren Absolventen, sie sind auch wortsprachlich überlegen, haben jedoch häufig Probleme mit dem »Machen«. Zu Ihrer Frage nach der Verbindung von Ausbildung und Praxis: sie trifft auf Architekten, Designer, Graphiker, Maler und Kunsterzieher in gleichem Maße zu. Es hat in den letzten Jahren verschiedene Ansätze gegeben: über die Arbeit an Berufsbild-Analysen hinaus sind zeitweise ziemlich viele Gastdozenten aus der Praxis bei uns gewesen, dann haben wie Exkursionen unternommen mit den Studenten, um am »lebenden Modell« verschiedene Ausprägungen des Berufs kennenzulernen, jedoch ist die Frage der Praktika noch weitgehend ungelöst.

RED.: Was hat in der aktuellen Kunst, Ihrer Meinung nach, den größten ästhetischen und intellektuellen Wert für die Zone der Massenkultur? Was übt in dieser Kunst seit der Zeit der Erschöpfung der Pop-Art, welche die Grenze zwischen der unikalen und vervielfältigten Kunst verwischt hat, einen gleich starken Einfluß auf die Graphik der Massenmedien aus?

H.H.: Ich fürchte, daß ich in meiner Antwort an Ihrem Thema einigermaßen vorbeitreffen werde: ich will versuchen, meine Einstellung zu erläutern. Was seit POP an Einfluß in die Graphik der Massenkommunikation sich durchsetzt, kann ich selbst nicht übersehen. Nach den Erfahrungen, die es bislang gab, würde ich vermuten, daß es eherAnsätze der Freien Kunst sind, die irgendwie literarischen Charakter haben. Das beste Beispiel dafür ist der Surrealismus und auch seine Nachfolge. in meiner Sicht wird die Frage der Beziehungen zwischen Kunst und dem Design-Bereich vielfach noch zu einfach gesehen als Abhängigkeit des einen vorn anderen, während man heute eher von wechselseitigen Beziehungen sprechen sollte. Aufgrund einer anders gearteten Aufgabe entsteht Design anders als Kunst, Eine Anzeige zum Beispiel besteht nicht nur aus einer ästhetischen, sondern aus sehr viel mehr Komponenten, die erst in ihrem Zusammenwirken die Ansprache ausmachen. Sie ist demnach mehr als die Summe ihrer Teile, das bedeutet, daß auch das Zusammen fügen von Teil-Untersuchungen nicht ihr Wesen treffen wird.