Hans Hillmann und Bernhard Bylandt-Rheydt

Einführung von Prof. Dr. H. U. Asemissen anlässlich der Ausstellungseröffnung am 25. Februar 1962 im Kasseler Kunstverein

AutorIn
H. U. Asemissen
Erscheinungsjahr
1962
Quelle
Kasseler Kunstverein e.V. (Hg.): »Hans Hillmann und Bernhard Bylandt-Rheydt«, Katalog zur Ausstellung, Kassel 1962

Es ist nicht ganz einfach, in eine Ausstellung einzuführen, die in der Hauptsache Plakate und Plastiken zeigt. Denn nur sprachlich, im Lexikon, stehen Plakat und Plastik nahe beieinander. Sachlich ist ihr Abstand, dem hier die getrennte Anordnung entspricht, groß und ihre Verschiedenheit sicher größer als ihre Gemeinsamkeit. Lassen Sie mich versuchen, dem Thema in beiden Hinsichten etwas nachzugehen. Vielleicht lohnt es schon, einmal darauf zu reflektieren, was denn die Tatsache der Ausstellung für die ausgestellten Arbeiten bedeutet. Ich meine nicht vermutliche Auswirkungen der Ausstellung —ihren Erfolg für Kunstverein und Künstler —, sondern ich meine die Tatsache der Ausstellung als solche. Weder Plakate noch Plastiken sind ja dazu bestimmt, ausgestellt zu werden. Mir scheint viel-mehr, beide ändern in gewisser Weise ihr Wesen, wenn sie als Objekte einer Ausstellung in Erscheinung treten. Plakate haben in den Situationen des Alltags, für die sie bestimmt sind, die Aufgabe: den zufälligen Blick des Passanten einzufangen und so lange festzuhalten, bis ihn nach dem optischen Anreiz auch die inhaltliche Mitteilung erreicht und durch die Art ihrer Formulierung sein Interesse, sei es für eine Ware, sei es für eine Veranstaltung oder irgendein empfohlenes Verhalten gewinnt. Plakate sind als Anschlag an Säulen und Wänden zugleich ein mehr oder weniger harmloser Anschlag auf das Inter-esse des potentiellen Betrachters, eine Aggression mit ästhetischen Mitteln. Ganz anders hier: Sie bringen die Bereitschaft des Blickes schon mit und Ihr Interesse ist positiv prädisponiert. Es gilt zudem in erster Linie dem Plakat als Beispiel einer bestimmt gearteten graphischen Aufgabe, und nur in fiktiver Weise gilt es der Ware oder der Veranstaltung, für die das Plakat eigentlich wirbt. Sie sehen auf die Qualität des Plakats und sehen ab von der Qualität, die es Ihnen vermittels der eigenen vor Augen führen will. Die werbende Mitteilung geschieht zwar auch hier, aber sie ist wesentlich außer Funktion gesetzt und irreal geworden. Das Plakat in der Ausstellung ist nicht mehr schlicht ein Plakat, sondern es ist ein Repräsentant seiner selbst, der sich als solcher nicht an den Konsumenten, sondern an den aufs ästhetische Subjekt reduzierten Betrachter, an den Kenner und Kritiker wendet. Bei aller Verschiedenheit von Plakat und Plastik gilt Vergleichbares doch auch für sie. Zwar ist die Plastik, von Ausnahmen abgesehen, keine angewandte Kunst, und deshalb hat bei ihr der Wechsel von Standort und Situation nicht dieselbe Bedeutung. Das Plakat ist Mittel zum Zweck; in der Ausstellung entfällt der Zweck und nur das Mittel bleibt übrig und tritt als solches erst recht in Erscheinung. Im Vergleich zu ihm erscheint die reine Plastik als Selbstzweck. Sie ruht als Individualität in sich, verweist nicht auf anderes und will als sie selbst verstanden werden. Doch dazu bedarf sie des individuellen Platzes in einem ihr angemessenen Raum. Keinesfalls ist sie dazu bestimmt, in einem beliebigen Raum mit ihresgleichen zum Kollektiv versammelt zu werden. Das klingt wie eine Kritik an Ausstellungen. Und in der Tat ließen sich im Hinblick auf manche Ausstellungen und Museen mit Plastiksälen kritische Konsequenzen daraus ziehen. Aber so ist es nicht gemeint. Ausstellungen sollen sein! Wir werden auf die Begegnung mit der Kunst, die sie und oft nur sie ermöglichen, nicht verzichten wollen, schon gar nicht in der Stadt der documenta. Kritik ist viel-mehr nur in philosophischem Sinne gemeint: als Ausweis der Bedingungen des Möglichen und seiner Grenzen. Auch mit Plastiken geschieht etwas in kategorialem Sinne unter den Bedingungen der Möglichkeit einer Ausstellung, und ihre eigentliche Weise zu sein und zu wirken bleibt davon nicht unberührt.

Bei den Plastiken von Bernhard Bylandt-Rheydt kommt Besonderes hinzu. Es ist die besondere Ruhe, Beständigkeit und Seinsselbständigkeit der von ihm geschaffenen Figuren. Sie haben nicht nur ein Wesen, wie alles, was ist, sondern sind selbst Wesen, steinerne Geschöpfe. Stein ist sein bevorzugtes Material; er ist ein Bildhauer in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes. Und die Gestaltung des Menschen ist sein ausschließliches Thema. Nicht ohne tieferen Sinn bietet für diese in sich geschlossenen, gültig ins Sein gesetzten Figuren der Ausdruck Geschöpf sich an: er erinnert daran,

daß die Schöpfungsgeschichte die Erschaffung des Menschen als ein plastisches Bilden beschreibt. Doch gibt es neben der theologischen eine weiterführende philosophische Entsprechung. Seit Kant unterscheidet die philosophische Anthropologie zwischen dem, was die Natur aus dem Menschen macht, und dem, was der Mensch aus sich selber macht. Er ist nur, was er im Rahmen der natürlichen Bedingungen aus sich macht, wozu er sich bildet. Entsprechend scheint mir das Werk Bylandt-Rheydts zu verstehen. Er bildet den Menschen nach seiner Vorstellung des Wesentlichen in den naturrohen Stein hinein, verleiht ihm personale Existenz, Ausdruck, Charakter, geistige Bestimmtheit und Bedeutung. Dabei ist die Beschaffenheit des Steins, wie analog die Natur des Menschen, nicht nur Materie der Formung, sondern mitwirkend an ihr beteiligt. Die natürliche Anlage begünstigt die Gestaltung, wenn diese ihr gemäß ist, und sie behauptet gegen den unangemessenen Gestaltungswillen ihr eigenes Recht. Gerade die Ausgewogenheit von vorgegebener Natur und zurückhaltend hineingebildetem Geist scheint mir das Charakteristikum der Plastiken von Bylandt-Rheydt. Sie verkörpern, was Hegel in seinen Vorlesungen über die Ästhetik als idealen Gegenstand der Plastik angegeben hat: „… die anundfürsichseiende Individualität, den ganz objektiven Charakter, die … Notwendigkeit.“ Bei Hegel ist allerdings verlangt, daß es eine „schöne freie“ Notwendigkeit sein solle. Es wäre gewiß des Nachdenkens wert, warum uns die volle Erfüllung der Hegelschen Forderung, so wie er sie verstand, heute wohl unbefriedigt lassen würde. Begreiflicherweise hat Hegel sich nicht auch über das Plakat geäußert. Aber der Kontrast zur Plastik mag hier überleiten. Denn gerade was Hegel der Plastik im Anschluß an die zitierte Stelle ausdrücklich verwehrt, steht dem Plakat offensichtlich zur Verfügung: „subjektive Vorliebe für Eigentümlichkeiten“ sowie „Empfindung, Lust, Mannigfaltigkeit der Regungen und Witzigkeit der Einfälle“. In der Tat: alle flüchtigen Spielarten des Geistes, die im Doppelsinne des Wortes für den Augenblick bestimmt sind, sind der auf Dauer eingestellten Plastik versagt, dem zeit- und zweckbezogenen, auf den Effekt zielenden Plakat jedoch adäquat. Von der einfachen Situationskomik bis zur Skurrilität und von der witzigen Anspielung bis zum pointierten Witz und seiner Ubertrumpfung in der surrealistischen Pointe macht es von ihnen Gebrauch und macht in gelungenen Fällen auf diese Weise aus der Not seiner sachlich-nüchternen Aufgabe die Tugend bezwingender Liebenswürdigkeit. Die Plakate von Hans Hillmann geben Beispiele hierfür. Selbst noch für so gar nicht spaßige Dinge wie pharmazeutische Präparate wird mit Humor geworben. Nur wenige seiner Plakate haben indessen das unmittelbar kommerzielle Thema der Werbung für eine Ware. Seine Domäne ist das Filmplakat. Doch ist die Thematik für den künstlerischen Rang und den graphischen Reiz des Plakats nicht entscheidend. Denn sicher ist richtig, „daß Plakate für Schmierseife genau so interessant sein können wie Plakate für kulturelle Veranstaltungen“, wie Karl Oskar Blase, Dozent für Gebrauchsgraphik an der Werkkunstschule Kassel und Hillmanns Kollege auch in der Graphikergruppe Novum, einmal schrieb. Es ist richtig, und zum Beispiel Thomas Theodor Heines Plakat für ein Fleckenwasser, von 1896, ist an plakativem Esprit nicht leicht zu übertreffen: da ist auf einfarbigem Grund in der rechten Hälfte des Hochformats die obere Partie einer natürlich über und über gefleckten Giraffe zu sehen; von links unten ragt, angelehnt an das Tier, das Ende einer Leiter ins Bild; auf ihr, mit Kopf und Oberkörper sichtbar, eine Frau; mit der Linken umfaßt sie den Hals der Giraffe und mit einem Lappen in der Rechten beginnt sie zuversichtlich ihre Arbeit. Es wäre falsche Bescheidenheit, wollte das Putzmittel auf den Dienst des guten Plakats verzichten, und geistiger Hochmut, wollte das Plakat ihn ihm versagen. Nicht für die künstlerische Qualität, wohl aber für die geistige Struktur des Plakats macht es einen Unterschied, ob es den Nutzwert einer Ware werbewirksam zu veranschaulichen hat oder ob es für etwas wirbt, was selbst geistigen Wert besitzt oder gar seinerseits ein Kunstwerk ist. Hier muß die Plakatidee dem ideellen Gehalt des Gegenstandes sinnvoll entsprechen. Es macht die schon oft anerkannte Sonderstellung Hillmanns in der deutschen Filmwerbung aus, daß seine Plakate in dieser Hinsicht den Filmen, für die sie werben, kongenial sind. Lassen Sie es mich an einem Beispiel verdeutlichen. Da ist das Plakat „Charlie Chaplins Lachparade“. Es gilt einem Film, der einige frühe Chaplin-Filme im Kintopp-Stil der Stummfilmzeit vorführt: mit melodramatischer Musikbegleitung auf einem verstimmten Klavier und einem Ansager neben der Leinwand, der einem geehrten Publikum jahrmarktschreierisch die flimmernde Handlung erklärt. Das Plakat zeigt in lebhaftem Rot und Schwarz den Ansager mit weitgeöffnetem Mund, aus dem die Schrift, die den Filmtitel angibt, entsprungen scheint; auf der Brust des Ansagers, von ihr umrahmt, ein kleiner weißer Bildschirm, auf dem im Brustbild, schmal, blaß und stumm, mit Melone und Stöckchen, Chaplin zu sehen ist — ein Plakat im Plakat, nur durch den Zeigefinger des Ansagers mit dem übrigen verbunden und mit ihm zusammen, inhaltlich wie formal, ein Sinnbild der Filmidee. Sie werden leicht ähnliche Betrachtungen anstellen können. Etwa beim Plakat „Rashomon“, das durch die vierfache Zerschneidung der Fläche und der Figuren sowie durch deren Wiederaufbau zu einer undurchschaubaren, rätselhaften Einheit die viermal verschiedene Erzählung derselben unheimlichen Geschichte symbolisiert, deren objektiver Hergang, wenn es ihn gibt, im Film unerklärt bleibt. Es ist zugleich dasjenige Plakat, das durch die Art der Gestaltung am ehesten der Plastik nahekommt. Nur eine abschließende Bemerkung noch zu dem, was dem Plakat und der Plastik bei aller Verschiedenheit ihres Sinnes, ihrer Stilmittel und Techniken gemeinsam ist, sofern sie die Kunst unserer Zeit repräsentieren. Ich meine: gemeinsam ist ihnen die weitgehende Verselbständigung des ästhetischen Gebildes, der Gestaltung von Formen und Farben in der Fläche wie der körperlichen Figuration im Raum. In der abstrakten Kunst ist diese Verselbständigung offensichtlich, weil in ihr der Gegenstand wenn nicht entfallen, so doch selbst abstrakt geworden ist. Aber auch bedeutende gegenständliche Kunst ist heute zu allererst in dieser Dimension bedeutend. Auch und gerade unter diesem Aspekt, scheint mir, wollen deshalb die Plastiken von Bylandt-Rheydt in ihrer Beziehung zum Raum und zum Licht, ihren Proportionen, ihrer Korrespondenz von Lage und Richtung, Spannung und Lösung, Wölbung und Höhlung — und auch unter diesem Aspekt, der von ihrer Aufgabe abstrahiert, wollen die Plakate von Hillmann als graphische Gestaltungen gesehen und gewürdigt werden.

Aber dem und der Ergänzung der hier vorgetragenen Gesichtspunkte durch die Ihren soll nun nichts mehr im Wege stehen.