Ein Novum in der Gebrauchsgraphik

AutorIn
Werner Schwier
Erscheinungsjahr
1959
Quelle
Gebrauchsgraphik, 10/1959

Hier ist in des Wortes doppelter Bedeutung tatsächlich über ein Novum in der Gebrauchsgraphik zu berichten. Der Fall ist nicht nur neu, sondern in der Geschichte dieses Berufsstandes zumindest in Deutschland einmalig. Schließen sich da, ohne lange zu reden, zehn junge Graphiker zu einer Gesellschaft zusammen, mieten ein Büro, geben unter einprägsamen Signet ihrer neuen Firma einen imponierenden Katalog heraus und stellen sich für ihre weiteres Wirken eine Maxime, die etwa lautet: Gute Gebrauchsgraphik ist selten, da sie die Fähigkeit voraussetzt, eine zweckgebundene Aufgabe mit künstlerischer Überzeugungskraft lösen zu können. Hierzu muss der Gebrauchsgraphiker nicht nur die ihm eigenen Ausdrucksmittel vollkommen beherrschen, sondern er muss sich auch in die jeweils gestellten Aufgaben einfühlen können. Gebrauchsgraphik ist erst dann gut und erfüllt erst dann ihre Funktion, wenn diese Vereinigung der zweckbestimmten und künstlerischen Faktoren gelungen ist. Punktum. Sprachen es und gingen wieder an ihre Arbeit, die fortan den Auftraggebern der Wirtschaft eine zentrale Bezugsquelle werbewirksamer Gebrauchsgraphik erschließen soll. Der Verdacht, es handele sich um ein idealisiertes Zweckunternehmen unbekannter Anfänger, ist schnell zerstreut. Denn obwohl die Mitglieder der „Novum-Gesellschaft für neue Grafik mbH“ alle der jüngeren Generation angehören, ist doch keiner unter ihnen, der sich nicht durch seine bisherigen Arbeiten schon nachdrücklich qualifiziert und über Deutschland hinaus Beachtung gefunden hätte.

Allein in den letzten drei Jahren wurden 25 Plakate von Novum-Mitarbeitern bei Wettbewerben des BDG ausgezeichnet. Ihre Arbeiten wurden auf zahlreichen Ausstellungen in Deutschland und im Ausland gezeigt, in England, Frankreich, Polen, in der Schweiz und der Türkei, in Japan, Holland, Israel, Irland und den USA, auf der Triennale in Mailand, der Weltausstellung in Brüssel und bei vielen anderen Anlässen. Die Zahl der Publikationen in der internationalen Fachliteratur füllt bereits einen stattlichen Band. Es ist die freudig zu begrüßende Absicht der Novum-Leute, die heute weithin sichtbare Gleichförmigkeit und das aus der Routine erwachsene Mittelmaß zu überwinden. Ohne neue Theorien aufzustellen oder dem Modernismus und dem Experiment um jeden Preis zu huldigen, wollen sie durch Kraft der Qualität und den Mut zur Eigenart überzeugen.

In dieser Absicht haben sich im Novum-Kreis u.a. zusammengefunden: Karl Oskar Blase (Kassel), Fritz und Dorothea Fischer-Nosbisch (Frankfurt), Hans Michel und Günther Kieser (Offenbach), Helmut Lortz (Berlin), Erika Müller (Offenbach) und Enzo Rösli (Zürich). Weitere freie Mitarbeiter, Graphiker, Photographen und Innenarchitekten sollen der Gruppe assoziiert werden. Ihre Tätigkeit umfasst das ganze Gebiet der Gebrauchsgraphik: Anzeigen, Plakate, Prospekte, Umschläge, Packungen, Signets und erstreckt sich bis zu Werbefilmen und Illustrationen. So sehr auch jeder von ihnen eine eigene Persönlichkeit entwickelt hat, so eint doch alle Novum-Mitarbeiter die Übereinstimmung in der künstlerischen Qualität. Der Vorteil für den Auftraggeber ist offenkundig, denn die schöpferische Potenz des einzelnen Künstler wird durch den Zusammenschluss vervielfacht.

Die in diesem Heft gezeigte Auswahl an Novum-Arbeiten gibt bereits einen Eindruck vom Einfallsreichtum und der Vielseitigkeit, von der Treffsicherheit der Ideen und deren immer geschmackvoller Ausführung und von der sicheren Beherrschung aller Techniken. So ist der Bogen weit gespannt von nüchtern-sachlicher Zweckgebundenheit bis zur künstlerisch eigenständigen Interpretation. Fleiß, Können und untrügliches Qualitätsgefühl sind Positiva, welche die Novum-Leute selbst am allerwenigsten hervorzuheben wünschen. Ihr eigentliches Geheimnis aber, das dem Aussenstehenden vielleicht verborgen bleibt, liegt in der Tatsache, dass hier ein künstlerischer und menschlicher Freundschaftsbund entstanden ist, in dem jeder neidlos nur das Beste anerkennt. Das ist in unseren nüchternen Zeiten nicht nur ein Novum, sondern eine Seltenheit.